Es ist nicht egal, wie wir gebären!

Als Nina mich fragte, ob ich über meine Geburt schreiben würde, die ich als selbstbestimmt erlebt habe, dachte ich: Na…
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Als Nina mich fragte, ob ich über meine Geburt schreiben würde, die ich als selbstbestimmt erlebt habe, dachte ich: Na klar schreibe ich über die Geburt. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam die Erkenntnis: Die Geburt war selbstbestimmt, aber es gab auch einen Weg dorthin, der mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger war.

Schon 2010 hatte ich über die immer kritischer werdende Situation der Hebammen gelesen und wusste – sechs Jahre später – dass ich schnell sein musste, sollte ich schwanger werden. Ich hatte viele Geburtsberichte gelesen, davon sehr viele positive über außerklinische Geburten mit 1 zu 1 Betreuung und eine aufsuchende Wochenbett-Betreuung. Da war also das diffuse Wissen, dass Hebammen wichtig für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettbetreuung waren, aber wie bedeutsam sie für mein persönliches Erleben derjenigen sein würden, ahnte ich noch nicht im Geringsten.

Als digital native bin ich mit dem Internet aufgewachsen und ohne es wäre ich nicht in der Lage gewesen, mir die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Geburt zu schaffen. Deshalb möchte ich meine Erfahrung mit Interessierten teilen, auch wenn der Text so viel länger geworden ist, als ursprünglich geplant. :-)

Schwangerschaft und Schwangerschaftsvorsorge

Mit Sensiplan (eine spezielle Form der Zyklusbeobachtung) konnte ich den Eisprung sicher auswerten und als ich den 15. Tag der 2. Zyklusphase erreichte, wusste ich schon, dass ich schwanger war. Erstens war meine Gelbkörperphase in 10 Jahren nie länger als 14 Tage gewesen und zweitens waren meine ersten Schwangerschaftssymptome gute Laune und Zuversicht. Etwas, das mir als nebenberufliche Bedenkenträgerin völlig neu war. In mir war eine tiefe Sicherheit, dass diese Schwangerschaft halten und ich am Ende ein gesundes Wunschkind in den Armen halten würde. Zum ersten Mal lernte ich also meine Intuition kennen.

Der Schwangerschaftstest fiel positiv aus und ich rief sofort im Geburtshaus an. Ich sollte zum Informationsabend kommen und konnte mich zwei Wochen später für die Schwangerschaftsvorsorge und Geburt dort anmelden. Und ja ich gebe zu: Meinen Partner und Vater des Kindes habe ich erst am Abend des positiven Tests informiert. Zu groß war die Furcht schon in Schwangerschaftswoche (SSW) 4+1 zu spät für die Hebammensuche zu sein.
Beim Informationsabend stellte sich dann tatsächlich heraus, dass einige Schwangere auf die Warteliste kommen würden oder zu spät dran waren.

Bei meiner Frauenärztin stellte ich mich in der 8. SSW vor und sagte absichtlich ein korrigiertes Datum für die letzte Regel, da der Eisprung fünf Tage später statt gefunden hatte und nicht wie im Lehrbuch an Zyklustag 14. Schon meine Mutter hatte dies bei ihrer zweiten Schwangerschaft so gehandhabt, da ich als erstes Kind 11 Tage „zu spät“ auf die Welt kam – einfach weil unsere Zyklen länger als der Durchschnitt sind. Im Ultraschall konnte man sehen, dass sich die Fruchthöhle in der Gebärmutter und nicht im Eileiter befand. Ich informierte meine Frauenärztin fast schon entschuldigend, dass ich die Vorsorge abwechselnd mit den Hebammen durchführe und sollte nichts dagegen sprechen, eine außerklinische Geburt plane. Sie kommentierte dies nicht, aber ich konnte schon an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, was sie darüber wohl denken mochte.

Es werden ja nun allerhand Tests gemacht und ebenso als IgEL (individuelle Gesundheitsleistung, privat zu zahlen) angeboten. „Zur Sicherheit“ ließ ich Toxoplasmose, Ringel-Röteln und CMV (Cytomegalie-Virus) bestimmen – letzteres, da man sich nur durch vorbeugende Hygiene-Maßnahmen schützen kann und eine Infektion in der Frühschwangerschaft schwere Behinderungen des Kindes nach sich ziehen kann. Zudem ist eine Antikörper-Therapie ein off-lable Einsatz – die Medikamente kosten mehrere Tausend Euro und man ist auf eine freiwillige Erstattung durch die gesetzliche Krankenkasse angewiesen. Nun stellte sich heraus, dass meine von mir vermutete Mononukleose zwei Monate vor der Schwangerschaft tatsächlich eine CMV Infektion gewesen war. Zumindest deuteten die Antikörper auf eine Infektion mindestens acht Wochen vor der Empfängnis darauf hin.

Auf einmal war ich eine Risikoschwangere und wurde zu zusätzlichen Ultraschalls an eine DEGUM 2 Gynäkologin überwiesen. Diese datierte den Entbindungstermin in SSW 13 auf Grund der Größe des Fetus fünf Tage vor – obwohl ab der 11. SSW die Größenbestimmung per Ultraschall sehr unsicher ist und laut Leitlinien auch nicht empfohlen wird. Meine Gynäkologin übernahm diesen ET und ließ sich nicht auf Diskussionen ein. Wie eine Eireifung noch während der Menstruation zu einem Eisprung an Zyklustag neun führen soll, bleibt mir bis heute ein Rätsel.
Zu diesem Zeitpunkt wurde mir allmählich klar, dass man einer Schwangeren jegliches Verfügungsrecht über ihren Körper abspricht und sie quasi entmündigt, indem ihr Angst gemacht wird: „Wir wollen doch nicht, dass Ihrem Kind etwas passiert!“ Da ging ich nun nach dem Termin aus der Praxis, fast 30 Jahre alt, mit abgeschlossenem naturwissenschaftlichen Studium und Note 1 vor dem Komma und fühlte mich bevormundet wie ein Kind. Der Irrsinn ging weiter: In der 34. SSW wurde beim DEGUM 2 Schall das Gewicht unter der 3. Perzentile gemessen – kein Wunder, denn das Kind war aus ärztlicher Sicht älter. Die Diagnose: small for gestational age (Wachstumsretardierung). Zu diesem Zeitpunkt erlebte ich meine Arbeitssituation zunehmend als sehr belastend, insbesondere, dass ich viel Stehen und Gehen musste.

Anstatt meinen mütterlichen Organismus von diesem vielen Stehen / Gehen und dem Lärm und Stress zu entlasten und mich aus einer Arbeitssituation zu nehmen, in der die Mutterschutzrichtlinien nur minimal umgesetzt wurden, schürten die Ärzte latente Sorgen. Anstatt die Ursache des leichten Kindes in der Minderdurchblutung der Gebärmutter unter Adrenalin-Dauerbeschuss zu suchen (der Körper reduziert unter Stress die Durchblutung weniger überlebenswichtiger Organe wie Niere und Gebärmutter), versteiften sich die Ärzte auf eine mögliche Krankheit des Kindes. In der Anmeldung zur Geburt in meinem Wunschkrankenhaus, falls das Geburtshaus keine Option mehr sein würde, ging es keineswegs um meine Wünsche im Geburtsplan, sondern nur darum, dass eine außerklinische Geburt nicht empfohlen wird.
Bei der gynäkologischen Pflichtuntersuchung für außerklinische Geburten an Entbindungstermin plus ein, zwei oder drei Tage waren Fruchtwassermenge und Plazentaverkalkung normgerecht, alle Parameter unauffällig, nur das CTG gefiel meiner Frauenärztin nicht: Die Frequenz war bei 170 Schlägen pro Minute. Das CTG wurde nach einer Stunde wiederholt und war auf 120 Schläge pro Minute gesunken. Das war ihr nun wiederum zu niedrig und sie wollte mich am gleichen Abend in die Klinik schicken.

Zu dem Zeitpunkt war ich mental aber schon soweit und dachte mir: „Ihr könnt mir alle mal die Füße kraulen!“ Im Wartezimmer lief ein enorm lauter Lüfter, weil es ein sehr schwüler Tag war – kein Wunder, dass mein Baby dadurch Stress bekam, weil es ihm eine Dreiviertelstunde zuhören musste. Mein Baby bewegte sich, seit ich die Kindsbewegungen spüren konnte, derartig viel, dass ich dachte, es käme durch die Bauchdecke geturnt. Eine solche Muskelaktivität kann keine Sauerstoff- oder sonstige Unterversorgung bedeuten.
Ich hatte genug und ging ab dieser Vorsorge nur noch zu meinen Hebammen. Die Ultraschalluntersuchungen hatten keinen Hinweis auf Organschädigungen ergeben, nach meinem Resturlaub und Mutterschutz hatte das Baby in einem Monat mehr als ein Kilogramm an Gewicht wieder aufgeholt und befand sich auf der 33. Gewichtsperzentile. Ich hatte alle Untersuchungen, die mir sinnvoll erschienen, durchgeführt und hatte genug Sicherheit, um mit gutem Gewissen eine außerklinische Geburt zu beginnen. Alle Parameter wie Blutdruck, Urin, Gewicht und Blutzucker waren absolut unauffällig. Trotzdem schienen die Ärzte auf Teufel komm raus etwas krankhaftes als Ursache finden zu wollen.

Wie anders fühlte ich mich nach den Hebammenvorsorgen: Statt 10 Minuten Gespräch hatte ich mindestens 45 Minuten. Die Räumlichkeiten waren einladend, gemütlich und das Geburtszimmer wie eine warme und vertraute Höhle. Da ich fast keine Beschwerden in der Schwangerschaft hatte, traute ich mich zuerst nicht, diese zu genießen und befürchtete ein „dickes Ende“. Die Hebamme M. ermutigte mich, die Schwangerschaft mehr zu genießen. Bei der Risikoaufklärung konnte die Hebamme P. mir helfen, einen realistischen Blick auf die Risiken unter der Geburt zu bekommen – ich vertraute mehr und mehr meiner Intuition, dass die außerklinische Geburt die bessere Option für mich, mein Baby und meinen Partner war. Mir wurde zu jeder Zeit die Option offen gelassen, doch ins Krankenhaus zu gehen, falls ich das möchte.
Als die Diagnose small for gestational age (Wachstumsretardierung) gestellt wurde, durfte ich vor Hebamme O. meine Gedanken in Ruhe ausformulieren, dass Ultraschall-Untersuchungen durchaus ungenau sein können, ich selbst auch ein sehr leichtes Kind war und dass die Infektion höchstwahrscheinlich ausreichend lange vor der Empfängnis abgeklungen war. In der 37. SSW erfasste mich eine emotionale Krise und ich weinte sehr oft. Ich hatte auf einmal Angst vor der emotionalen Herausforderung, Mutter zu werden und mich selbst noch als Kind meiner Eltern zu fühlen. Hebamme L. sprach mich darauf an und hielt meine Tränen aus.

„Ein Kind braucht am Anfang nur genug zu essen, will es warm und kuscheln.“ Nach jeder Vorsorge war ich gut gelaunt, glücklich, in engem Dialog mit meinem Kind, vertraute meinem Körper und seiner Fähigkeit zu gebären. Ich fühlte mich respektiert, mit meinen Sorgen Ernst genommen, durfte vaginale Untersuchungen ablehnen, damit ich mich nicht selbst unter Druck setzte, ob der Muttermund nun schon verstrichen oder ein Finger einlegbar war. So fiel es mir noch leichter, in Ruhe abzuwarten, dass sich mein Baby von selbst auf den Weg macht. Im Krankenhaus leitet man ja gerne schon ab ET+7 bzw. ET + 10 ein und bei ET + 14 wäre ich vermutlich sehr hohem Druck ausgesetzt gewesen. Wohl bemerkt ärztlich verursachtem Druck durch Vordatierung!

Die Geburt

11 Tage nach dem korrigierten Entbindungstermin und 6 Tage nach dem Entbindungstermin, den ich basierend auf Regeln von Sensiplan errechnet hatte, ging ich morgens auf Toilette und bemerkte auf dem Weg, dass Flüssigkeit aus mir rann. Ich war sofort hellwach und aufgeregt: Das konnte nur bedeuten, dass die Fruchtblase geplatzt und die Geburt nun definitiv in Gang gesetzt war. Ich fing etwas Flüssigkeit auf und testete den pH Wert, Aussehen sowie den Geruch. Das Stäbchen wurde tiefblau und der Geruch der Flüssigkeit erinnerte mich an Sperma. Dank Google erfuhr ich, dass das normal war. Nachdem ich geduscht und mir Pelzys in die Unterhose geklemmt hatte, rief ich meine Hebamme M. auf dem Rufbereitschaftstelefon an.
Sie klang sehr müde und ich erfuhr später, dass sie in der Nacht gleich zwei Geburten gehabt hatte. Trotzdem war sie immer noch sehr freundlich, hat sich einfühlsam mit mir gefreut, dass es nun endlich los gehe und wir besprachen, dass ich nicht sofort ins Geburtshaus kommen muss, da ich um 9 Uhr sowieso noch eine geplante Vorsorge haben würde.

Diese war bei Hebamme K. vom anderen Team, die ich bisher noch nicht kennen gelernt hatte, aber bei der ich mich auch sofort wohl fühlte. CTG, Urin und Blutdruck waren unauffällig und der Muttermund verstrichen. Da sich „richtige“ Eröffnungswehen noch nicht blicken ließen, besprachen wir, dass ich um 16 Uhr noch mal anrufen sollte und wir dann besprechen, ob ich eine halbe Dosis Rizinusöl einnehmen soll, um die Wehen in Gang zu bringen.
Auf Grund des vorzeitigen Blasensprungs mussten wir die 24 Stunden Grenze etwas im Auge behalten. Innerhalb dieses Fensters sollte das Kind auf der Welt sein. Ich sollte über den Tag eigenverantwortlich meine Temperatur messen, um eine aufsteigende Infektion rechtzeitig zu erkennen.

Zuhause angekommen, machte ich der Mutter meines Freundes klar, dass ich den Kopf nicht für die Geburt frei haben würde, solange sie noch in unserer Wohnung sei. Sie hatte uns ins Geburtshaus zur Vorsorge gefahren, da mein Freund am vorigen Tag eine kleinere Operation mit Vollnarkose gehabt hatte und noch nicht wieder ein Fahrzeug führen durfte. Der Onkel meines Freundes fuhr ihn noch einmal ins Krankenhaus für die Röntgenkontrolle.
Ich backte derweil einen Geburtstagskuchen und putzte die Küche ein letztes Mal so richtig gründlich. Als mein Freund wieder da war, verabschiedeten wir seine Mutter. Nun hatte ich endlich den Kopf frei und war bereit, die Wehen kommen zu lassen. Ich tigerte durch das Haus, räumte hier und dort noch auf, aß eine große Portion Nudeln und stieg vor allem viele Treppen.
Die Wehen waren nun als schmerzhaftes Ziehen zu spüren und kamen etwa alle 10 – 20 Minuten.

Wie es im Geburtsvorbereitungskurs gezeigt worden war, stützte ich mich auf Tisch oder Tresen um die Körpermitte zu entspannen und atmete in den Bauch in den leichten Schmerz hinein – dann mit geöffnetem Mund wieder aus. Um 16 Uhr telefonierte ich mit K. und wir vereinbarten, dass ich mir um 18 Uhr ein Spiegelei mit Rizinusöl brate. Bis dahin machten wir noch einen kleinen Spaziergang. Es war ein kühler und bewölkter Augusttag mit ein wenig Nieselregen und ich war froh, dass es nicht hieß und schwül war.
Nach dem Rizinusöl-Spiegelei ließ ich ein warmes Bad ein und wir sahen eine seichte Komödie auf dem Computer, während wir die Wehenabstände stoppten. Sie kamen nun schon alle acht Minuten und forderten meine volle Konzentration beim Veratmen.
Nach einer Stunde wollte ich aus der Wanne heraus – die abführende Wirkung hatte eingesetzt. Wir machten uns mit dem Auto auf den Weg ins Geburtshaus – die Wehen kamen alle sieben Minuten und die letzte Wehe nach 30 Minuten Fahrt im Auto war bereits richtig gemein. Mein Freund suchte einen Parkplatz und ich klingelte an der Tür des Geburtshauses.

Es ist 21:06 Uhr und K. öffnet mir mit L., die gerade als neue Kollegin eingearbeitet wird, die Tür. Sie begrüßen mich strahlend und ich weiß: Alles wird gut. Jegliche Nervosität fällt von mir ab. Wir gehen ins Geburtszimmer und ich werde noch einmal eine halbe Stunde ans CTG angeschlossen – es zeigt wieder keine Auffälligkeiten. Ich liege auf dem Bett und die Hebammen knien auf dem Boden. Was mir zuerst merkwürdig erscheint, weicht der Erkenntnis: Heute geht es einmal nur um mich, meine Bedürfnisse und mein Geburtserlebnis. Die Stimmung ist gut und wir plaudern etwas.
Die vaginale Untersuchung ergibt, dass der Muttermund erst wenige Zentimeter geöffnet ist und uns wird empfohlen, noch einmal nach Hause zu fahren – interessanterweise weiß ich davon gar nichts mehr. Meinen Freund macht die Aussicht auf die längere Fahrt nach Hause etwas nervös. Ich bleibe wohl einfach sitzen. Dann werden wir gefragt, ob wir noch einmal spazieren gehen möchten und die Hebammen ziehen sich zurück.
Doch bereits im Flur merke ich, dass das nichts wird. Ich habe keine Lust mehr, viel zu sprechen und werde in mich gekehrt. Ich setze mich wieder auf das Bett und die nächste Wehe überrollt mich derart schmerzhaft, dass ich laut töne – es ist ein merkwürdig vertrautes Gefühl. Als ob der Ton meinen Körper in der perfekten Frequenz trifft und ihn in Schwingung versetzt. Vielleicht ein Ton so alt wie die Menschheit selbst. Ab diesem Zeitpunkt verschwimmt meine Wahrnehmung.

Die Hebammen kommen zurück, wahrscheinlich haben sie das Vertönen sofort richtig eingeordnet. Mir wird ein Positionswechsel vorgeschlagen. Ich knie vor dem Bett und lehne den Oberkörper aufs Bett. Ich atme in den Bauch, in den Schmerz hinein und töne mit einem „aaaah“ wieder aus. An meinem Ohr höre ich L., wie sie mir hilft und ich folge ihrem aaaaaaaaoooooooh. Es ist wie ein Leuchtturm zur Orientierung, während ich ein Spielball der Wehen werde. Wie ein kleines Boot auf einem riesigen Ozean. Instinktiv kreise ich mein Becken.
Mir wird schlecht, ich verlange das Nierenschälchen. Die Übelkeit vergeht jedoch, ohne dass ich mich übergeben muss. Ich friere und schwitze gleichzeitig; ziehe Jogginghose und T-Shirt aus. Die Wehen kommen erbarmungslos, kurz verhaspele ich mich in meinem Atmen und die Hebamme weist mich an, wie ich in den Bauch atmen muss, damit mein Baby Sauerstoff bekommt. Ich schaue auf das CTG und sehe eine Frequenz von 80 Schlägen pro Minute. K. dreht meinen Kopf sanft zurück.

Aber ich habe keine Angst. Das Baby hat einen großen Vorrat an sauerstoffreichem Blut in den Lebersinusoiden, da seine Leber noch nicht mit vollen Kapazitäten arbeiten muss. Warum denke ich denn jetzt über so etwas nach? Ich glaube, zwischen den Wehen döse ich weg – nun bin ich froh, dass ich ein paar Menstruationen ohne Schmerzmittel ausgehalten habe, denn die Verarbeitung der schmerzhaften Krämpfe durch in den Bauch atmen und bewusstes locker lassen, ähnelt den Wehen in der Übergangsphase sehr.
Die Wehen kommen alle zwei Minuten und mein Körper besteht nur noch aus Schmerzwellen. Ich quetsche die Hand meines Freundes und sehe kurz auf. Er versichert mir, wie die Hebammen auch, dass ich es so toll mache. Später wird er mir sagen, dass ich wie auf Drogen gewirkt habe. Ich denke: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!“ Aber ich sage es nicht laut, aus Angst, dass eine Muttermund-Untersuchung nur eine geringe Öffnung bescheinigt.

L. fragt, ob sie mich vaginal untersuchen darf. Ich willige ein und sie teilt mir freudig mit, dass der Muttermund quasi nicht mehr da ist und ich mit schieben darf, falls ich möchte. Innerhalb von zwei Stunden ist der Muttermund vollständig aufgegangen und ich werde wieder etwas klarer im Kopf. Die Austreibungsphase erweist sich als zäh. Die Qualität der Wehen verändert sich: Nun überkommt die Wehe den Körper wie Durchfall oder der Drang zu Erbrechen nur eben als Drang zu pressen. Von der Intensität des Schmerzes sind die Wehen sehr viel besser auszuhalten.
Ich halte mich am Seil fest und gehe im Höhepunkt der Wehe in die Hocke, um den Beckenausgang möglichst weit zu öffnen. Ich schwitze dermaßen, dass mir die „Soße runterläuft“. Immer wieder darf ich etwas trinken oder bekomme ein Stückchen Traubenzucker.
Das Köpfchen füllt das Becken aus: Ein wahnsinniges Gefühl. Ich wende bei den Wehen die Bauchpresse zur Unterstützung an und schiebe auch über die Wehe hinaus mit. Ich habe das Gefühl, es geht nicht voran, doch K. feuert mich an, ermutigt mich unermüdlich und verliert nie die Geduld mit mir (während ich heimlich an Kaiserschnitt denke). L. massiert meinen Bauch mit würzig-duftendem Uterusöl.

K. hält mir Kügelchen hin und ich lache: „Aber ich glaube doch nicht an Globuli!” Sie lacht auch und sagt: „Ach komm, ist doch egal!“ Und ja, es ist tatsächlich egal. Ich nehme die Globuli und habe es im nächsten Moment schon wieder vergessen. Mittlerweile ist auch J. gekommen, die zweite Hebamme, die zu einer Geburt gerufen wird. Sie hält mir nach jeder Wehe den CTG-Schallkopf an den Bauch, ansonsten bin ich nicht eingeschränkt in meinen Bewegungen. Die Wehen kommen nun seltener. Auch ein Positionswechsel und einige Presswehen veratmen, um Kraft zu schöpfen, helfen nicht.
L. fragt mich, ob sie sanft mitschieben darf. Ich bin einverstanden. Später wird mir klar, dass dies der Kristeller Handgriff war, aber nicht so brutal angewendet, wie in traumatischen Geburtsberichten häufig zu lesen ist, sondern im Sinne des Erfinders: Bei Erschöpfung der Gebärenden, bei fehlenden Bauchmuskeln, Vielgebärender und ausschließlich mit den Händen. K. rät mir die Wehen nicht herauszubrüllen, sondern die Energie stumm nach unten zu schicken. Ich darf das Köpfchen tasten: Es ist ganz weich und steht am Ausgang. Es fehlt nur noch das letzte Stück. Ich schöpfe neuen Mut. L. umarmt mich von hinten, fixiert sanft den Po des Babies und ich drücke in der Hocke, traue mich über diese Klippe zu springen. Plötzlich merke ich einen heftigen und brennenden Schmerz: Das Köpfchen ist halb draußen.

Ich reiße die Augen auf und sehe, wie J. und K. „Kerzen auspusten“. Ich tue es ihnen gleich. K. sagt mir mitfühlend: „Ich weiß, dass das nun wahnsinnig brennt, aber du musst auf die nächste Wehe warten, sonst schießt das Köpfchen wie ein Sektkorken hinaus.“ Ich nicke und starre sie wie hypnotisiert an. Sie hat ganz blaue und freundlich-blitzende Augen. Die nächste Wehe kommt und das Köpfchen ist draußen. Das Baby maunzt und mein Freund berichtet mir später, dass er etwas geweint habe. Der Körper folgt noch in dieser Wehe und meine Tochter liegt vor mir. Nach fast drei Stunden Austreibungsphase.
Nie werde ich diesen Anblick vergessen, wie sie nackig, glitschig und empört schreiend vor mir liegt, die Fäuste geballt. Mir entfährt etwas völlig banales: „Ich habe einen Conehead!“ Und immer wieder: „Ich fasse es nicht!“ Schnell hilft man mir das Bustier auszuziehen und ich darf meine Tochter selbst auf meine Brust heben. Die Nabelschnur ist sehr kurz und ich muss sie daran hindern, hoch zu robben. Wir dürfen uns eine halbe Stunde lang ungestört in unser Kind verlieben, welches ganz hellwach zu mir aufschaut.
Die Nabelschnur pulsiert aus und ich schneide sie durch, trenne unsere Verbindung vorerst. Dann lege ich sie zum ersten Mal an meine Brust an – sie saugt wie ein Profi und sehr gierig.
Leider will die Plazenta einfach nicht kommen und nach zwei Stunden und ziemlichem Blutverlust entscheiden die Hebammen, dass die Plazenta unter ärztlicher Aufsicht kommen muss.

Ich war angespannt, aber hatte keine Angst – alle Maßnahmen und das Risikomanagement waren absolut transparent im Geburtshaus. Mit dem Rettungswagen wurde ich ohne Eile mit meinem Baby in die nahegelegene Klinik gebracht. Die Hebammen kamen mit und standen mir mental bei, bis die Plazenta mit dem Credé Handgriff geboren war. Dann gratulierten sie mir und sagen mir im Grunde richtig mütterlich, wie gut ich das gemacht habe und wie tapfer ich war.
Auch im Krankenhaus habe ich mich respektvoll behandelt gefühlt: Die Entscheidung für das Geburtshaus wurde nicht negativ kommentiert, die Hebammenstudierende lenkte mich ab und plauderte mit mir, die leitende Hebamme entschuldigte sich für die unangenehme Prozedur und die Ärztin hielt sich im Hintergrund bis es ans Nähen des Dammrisses 2. Grades ging und sie mir riet, auf Grund des Blutverlustes noch ein paar Tage in der Klinik zu bleiben. Diesen Rat konnte ich somit gut annehmen, auch wenn ich ursprünglich eine ambulante Geburt haben wollte.
Die Vorderwandplazenta war sehr klein und diese Art Plazenten macht wohl häufig Schwierigkeiten bei der Lösung – die Frage bleibt, ob die Plazenta so klein geblieben wäre, wenn meine Arbeitssituation nicht so stressig gewesen wäre.

Im Übrigen ist mein Baby kerngesund mit einem Apgar-Score von 9/10/10 und 3600 g zur Welt gekommen und sowohl Nabelschnurblut als auch Urin waren ohne CMV-Befund.

Das Wochenbett und ein Ausblick

Im Wochenbett wurde ich von einer mütterlich-strengen Hebamme betreut, die darauf achtete, dass ich genug trank und jeden Tag eine warme Mahlzeit von meinem Freund bekam. So intuitiv ich in der Schwangerschaft war, so hilflos war ich mit meiner neugeborenen Tochter.
Die Hebamme half mir über diese Unsicherheit hinweg. Sie diagnostizierte auch meine wahnsinnigen Schmerzen beim Liegen und Gehen als Steißbeinbruch, mindestens jedoch eine Steißbeinprellung. Mit ca. einem Liter Blutverlust, Schwitzattacken und generell dem Gefühl, von einem Laster überfahren worden zu sein, frage ich mich: Wie um alles in der Welt kommen Politiker und andere Akteure im Gesundheitswesen auf die Idee, die aufsuchende Wochenbett-Betreuung vor die Hunde gehen zu lassen?
Schon die Autofahrt von 10 Minuten zum Kinderarzt an Lebenstag fünf wegen eines verklebten Auges und der Furcht, es könnte bakteriell bedingt sein, war eine Qual. Insgesamt konnte ich vier Wochen nicht richtig sitzen, sondern musste immer in der Seitenlage schlafen, stillen und essen.

Es ist nicht egal, wie wir geboren werden und es ist nicht egal, wie wir gebären!
Wie könnte es das sein, wenn ein positives Geburtserlebnis das Potenzial hat, Frauen psychisch derart zu ermächtigen?
Meine Geburt ist vier Monate her und jeden Tag denke ich, wie großartig dieses Erlebnis für mich war, wie dankbar ich diesen großartigen Hebammen – Frauen – bin. Dass ich nun alles schaffen kann. Wie eng die Bindung an meine Tochter ist, wie wir die Geburt gemeistert haben, hat uns über eine sehr schwierige Schreizeit am Anfang geholfen. Von Freunden und Bekannten wurde ich gefragt, wie ich die Geburt ohne Schmerzmittel ausgehalten habe. Meine Antwort ist so simpel wie wahr: „Mit meinen Hebammen habe ich das geschafft!“

Mein Rat: Informiert euch ausreichend. Lest Geburtsberichte, stellt kritische Fragen bei Klinik-Informationsveranstaltungen, lest Bücher, die sich kritisch mit der Geburtsmedizin auseinandersetzen, denn die Geburtsmedizin wird auch durch wirtschaftliche Aspekte gelenkt – nicht immer in gute Bahnen. Informiert euch, unter welchen Voraussetzungen Geburten natürlich ablaufen und welcher Geburtsort für eure Situation der beste wäre unter Berücksichtigung von Grunderkrankungen. Lasst die Geburt nicht einfach auf euch zukommen im Glauben „Das wird schon irgendwie!“ Kümmert euch rechtzeitig darum, eine Hebammenversorgung zu bekommen und meldet Missstände, falls ihr keine bekommt. Macht euch klar, dass viele medizinische Untersuchungen mehr Unsicherheit als Sicherheit geben. Und hört immer auf euer Bauchgefühl!

Fordert diese Voraussetzungen bei der Politik ein, auch wenn ihr vielleicht erst in einigen Jahren Kinder möchtet. Engagiert euch bei gemeinnützigen Vereinen wie Motherhood e.V. oder ähnlichen – und wenn es aus Zeitmangel eine Fördermitgliedschaft ist. Familien brauchen Hebammen und Hebammen brauchen eine angemessene Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen für die unverzichtbare Arbeit, die sie leisten.

Widmung

​Für meine Tochter, die ich mehr liebe, als ich es mir je hätte vorstellen können.
Für meinen Freund und Vater meiner Tochter, der seine Ängste und Bedürfnisse für mich zurück gestellt hat, obwohl in seiner Familie niemand eine außerklinische Geburt hatte. Du hast mich in der Schwangerschaft und bei der Geburt bedingungslos unterstützt und alles gesehen, was man Männern im Allgemeinen nicht zutraut.
Ich liebe dich und unsere kleine Familie!
Für meinem Vater, der mich immer in meinem Bauchgefühl bestärkt hat und dass mein Körper weiß, was er tut – wenn man ihn lässt und ihm vertraut. Danke für deine kritisch-realistische Sicht auf die Medizin.
Und für meine Mutter, die mir jedes Jahr an meinem Geburtstag voller Stolz und Liebe sagt: „Heute vor soundsoviel Jahren habe ich dich raus gedrückt!“

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Fremde Feder
Manche Kundinnen* von Kulmine und Leserinnen* des Magazins schreiben lieber anonym; sie alle finden sich unter dem Autorinnennamen* "Fremde Feder".
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2 Kommentare

Lou 6. January 2018 - 16:12

Wow, ein sehr toller Bericht! Für mich, 29, die noch kein Kind hat und Krankenhäuser nicht mag, sind das sehr Eindrücke und Informationen. Dankeschön

Antworten
Lou 7. January 2018 - 11:18

Oh, das sollte “sehr wertvolle Eindrücke” heißen

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